Zeitreise durch Kasachstan Mario Heller
Es ist kurz vor Mitternacht. Am Fenster zieht die unendliche Dunkelheit vorbei. Das monotone Rattern des Zuges wiegelt mich gleichmässig durch die Steppe Zentralasiens. Die mitreisende Luft riecht nach gekochtem Essen und den Ausdünstungen von dutzenden Mitfahrenden. Aus verschiedenen Ecken des Waggons dringen Geräusche zu mir hinüber: Ein sägendes Schnarchen, Kindergeschrei, Volksmusik und eine hyperaktive Radio-Stimme. Es ist der Anfang meiner zweieinhalbwöchigen Reise mit der Eisenbahn quer durch Kasachstan.
Noch wenige Tage zuvor betrachtete ich das Land auf einer Weltkarte und wunderte mich, wie man sich in diesen unendlichen Weiten wohl fortbewegt. Nach kurzer Recherche fand ich heraus, dass die staatliche Eisenbahngesellschaft der grösste Arbeitgeber des Landes ist. Allerdings hat das Schienennetz nur eine Länge von 16 000 Kilometern – weit kürzer als das in Deutschland, obwohl die Fläche Kasachstans jener von ganz Mitteleuropa entspricht.
Um mehr darüber herauszufinden, habe ich mich fast drei Wochen in kasachischen Eisenbahnwaggons eingeschlossen. Je länger die Strecke war, desto besser. Jede Fahrt in einem der vorwiegend langsamen Zügen aus sowjetischem Erbe bietet eine Art Mikrokosmos und ist gespickt mit Charakteren aller sozialen und kulturellen Schichten, während das nostalgische Ambiente mit dem modernen Leben auf entzückende Weise verschmilzt. Dies ist eine Zeitreise durch die Geschichten der Menschen, die Historie des Landes und die endlose Romantik in den Eisenbahnen.
