Plakate zur Europawahl fallen durch

Zu nichtssagend, zu negativ, kein roter Faden: Die Plakate zum Europa-Wahlkampf 2009 zeigen «eher Rück- als Fortschritte», so das Urteil von Wissenschaftlern der TU Chemnitz. Dabei ginge es besser.

64,3 Millionen Deutsche sind am 7. Juni 2009 aufgefordert, ein neues Europäisches Parlament zu wählen. 99 Abgeordnete schickt Deutschland, im aktuellen Parlament sind CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke vertreten. Wer in der kommenden Legislaturperiode wieder und wie stark dabei sein darf, darum kämpfen die Parteien derzeit – unter anderem mit grossformatigen Wahlplakaten. Eine Analyse von Dr. Ruth Geier, Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Professur Medienkommunikation sowie Leiterin der Sprachberatung der TU Chemnitz, und Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich.

CDU: Schwarz-Rot-Gold und wenig aussagekräftig

«Wir in Europa» prangt von den Plakaten der CDU – das «Wir» mit schwarz-rot-goldener Hinterlegung hervorgehoben; ins Bild gerückt Arbeiter, Büroangestellte, Familien. «Die Gestaltung ist sehr staatstragend und patriotisch. Die CDU versucht, sich als Volkspartei darzustellen und alle anzusprechen. Die einzelnen Plakate sind aber wenig aussagekräftig», urteilt Strohmeier. «Die Argumentation auf Textebene fehlt», sagt auch Geier und ergänzt: «Durch das Wir wird eine Vergemeinschaftung versucht. Dieser Trend ist bei der CDU dieses Mal ganz stark – aber: Wer ist Wir? Es soll offenbar eine Gemeinschaft geschaffen werden zwischen der CDU und mir als Betrachter.»

Die CSU wirbt in Bayern mit der Aussage «Nur wer CSU wählt, gibt Bayern eine eigene Stimme in Europa.» «Das ist kein Slogan», sind sich die beiden Wissenschaftler einig. «Die CSU weiss, dass es dieses Mal für sie knapper werden wird als je zuvor», erklärt Strohmeier und ergänzt: «Deshalb will sie dem Wähler klar machen, dass ohne sie die Stimme Bayerns verloren geht. Aber sie hat noch nicht einmal versucht, diese Aussage in einen griffigen Slogan zu fassen – hier hätte sie viel kreativer sein müssen.»

SPD: Negativ-Kampagne mit Umgangssprache

«Finanzhaie würden FDP wählen» – das behauptet die SPD auf einem ihrer Wahlplakate in der ersten Werbephase. Ähnliche Formulierungen findet die Negativ-Kampagne für CDU und Die Linke. «Durch die Benutzung von umgangssprachlichen und bildhaften Begriffen bricht die SPD aus Standards aus», urteilt Geier. Dadurch seien es Plakate, bei denen man eher mit dem Blick hängen bliebe als bei anderen. «Ungewöhnlich scharf, etwas billig und unseriös», findet Strohmeier die Kampagne – «jedoch durchaus humorvoll. Die SPD fällt damit am meisten aus der Reihe, deshalb wird sie auch in den Medien am stärksten diskutiert und erregt Aufmerksamkeit – die Kampagne bedient also nicht nur die klassische Werbung, sondern auch die Presse. Die Tatsache, dass sie jetzt umplakatiert und die negative Werbung durch positive Werbung substituiert, zeigt aber, dass sie erkannt hat, dass negative Werbung allein nicht Gewinn bringend ist.»

Bündnis 90/Die Grünen: mit Wums und Reizwörtern

«Mit WUMS! für ein besseres Europa!» rufen Bündnis 90/Die Grünen von ihren Wahlplakaten. Die Aufklärung, wofür WUMS steht – für «Wirtschaft & Umwelt, Menschlich & Sozial» -, erfolgt im Kleingedruckten. «Das ist eine Fussnote wie in einer wissenschaftlichen Publikation und erinnert an den Wahlkampf der Grünen in den 1980er Jahren – die Grünen hatten schon bessere Kampagnen», so Strohmeier. Geier ergänzt: «Bündnis 90/Die Grünen arbeiten mit Reizwörtern – Mindestlohn, Krise, Lohngerechtigkeit. Das WUMS sagt mir erstmal gar nichts, irgendwann bin ich dann doch neugierig und schaue genauer hin. Insgesamt prägt sich das WUMS ein, sobald Personen auf den Plakaten sind, fehlt es allerdings.» Dadurch fehle der rote Faden, bemängelt auch Strohmeier: «Den müsste es auf jeden Fall geben, ansonsten sollte man solche Abkürzungen lieber sein lassen!»

FDP: prominente Spitzenkandidatin

«Für Deutschland in Europa» formuliert die FDP und zeigt ein grossformatiges Foto der Spitzenkandidatin Dr. Silvana Koch-Mehrin. «Hier wird die Spitzenkandidatin sehr prominent beworben, das ist bei den anderen Parteien nicht der Fall. Bei der FDP weiss der Wähler immerhin, wen sie ins Europäische Parlament schicken will», so Strohmeier. «Glatt übersehen» könnte man die Plakate nach Einschätzung von Geier. «Der Slogan versucht, eine Einordnung zu geben und eine Einheit von Deutschland und Europa zu zeigen», vermutet die Sprachwissenschaftlerin. «Etwas abgegriffen und wenig aussagekräftig», bewertet ihn Strohmeier.

Die Linke: blau und textlastig

Die Linke wirbt mit weisser Schrift auf blauem Hintergrund – unter anderem mit: «Gleicher Lohn für Frauen! Trotz gleichwertiger Arbeit verdienen Frauen in Deutschland etwa ein Viertel weniger als Männer. Schluss mit dieser Ungerechtigkeit!» «Hier stellt sich erstmal die Frage: Warum sind die Plakate blau?», spricht Strohmeier an. Er hat zwei Vermutungen: «Zum einen kann dadurch ein Bezug zu Europa beabsichtigt sein – Blau ist nun mal die Europafarbe. Zum anderen kann das Ziel sein, nicht sofort als Die Linke ‹enttarnt› zu werden. Der Wähler kann das Blau anfangs nicht zuordnen – und schaut genauer hin.» Inhaltlich seien die Plakate sehr textlastig, so Strohmeier: «Das ist klassisch für Die Linke und früher auch für die PDS. Für Plakate finde ich diese Strategie aber nur begrenzt geeignet.» Geier sieht in der Textgestaltung «wenige Hochwertwörter». Stattdessen würden Themen bearbeitet: «Man versucht, die Aussagen konkret zu machen, nicht nur Probleme zu nennen, sondern auch Lösungen. Der Text ist auf jedem Plakat nach dem gleichen Schema aufgebaut. Fett gedruckt steht, was gefordert wird, der zweite Satz stellt den Ist-Zustand dar, der dritte lenkt zur Partei.»

«Es geht besser – und ist nicht teurer»

«Der Wahlkampf ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Aber bei den Plakaten zur Europawahl muss man sagen: Es geht besser – und ist noch nicht mal unbedingt teurer», resümiert Strohmeier und wundert sich: «Man sollte davon ausgehen, dass die Parteien aus vergangenen Fehlern lernen und die Plakatkampagnen immer besser werden. Aber was wir hier sehen, sind eher Rückschritte als Fortschritte.» Das bestätigt auch Geier und betont: «Politik muss heute angeboten werden wie etwas Kommerzielles, im Grunde ist es egal, ob eine Partei oder ein Stück Käse beworben wird.»

Beide Wissenschaftler sind sich sicher, dass die Kampagnen im Herbst bei der Bundestagswahl besser werden. «Der Europäischen Union messen die Parteien nicht so viel Bedeutung bei, das sieht man deutlich», sagt Strohmeier. Die Themen könnten jedoch im Herbst dieselben sein – Strohmeier: «Alle Parteien bewerben auf den Plakaten Themen, mit denen sie genauso gut in den Bundestagswahlkampf gehen könnten. Der Europagedanke hätte von allen besser transportiert werden können – allerdings steht sein Fehlen auch für eine gewisse Nachfrageorientierung: Die Wähler interessieren sich wenig für Europa.»

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