Es sind ihre dunklen Augen, die faszinieren, ihr makelloses Gesicht, geheimnisvoll umhüllt von einer Tüllspitze mit floralem Muster. Als Edward Steichen 1924 in New York die Stummfilmdiva Gloria Swanson ablichtet, trifft der damals bestbezahlte Fotograf auf die damals bestbezahlte Schauspielerin. Es entsteht ein Foto für die Ewigkeit: «Eine irritierende Spannung aus Ferne und Nähe, Offenheit und Verbergen, Einfachheit und Raffinesse machen das Bild zum Symbol der modernen Frau», sagt Ortrud Westheider, Direktorin des Hamburger Bucerius Kunst Forums. In ihrem Haus ist das Werk ab Donnerstag (17. Mai) zu sehen – eindrucksvoll eingebettet in die Schau «New York Photography 1890-1950. Von Stieglitz bis Man Ray».
Längst hatte Steichen in den 1920er Jahren für sich entschieden, dass Fotografie auch kommerziell genutzt werden darf. Als Cheffotograf im Condé Nast Verlag für «Vogue» und «Vanity Fair» avancierte er zu einem der erfolgreichsten Modefotografen – und widersprach in Teilen der These von Alfred Stieglitz, der gegen den Kommerz war. Vereint waren beide dennoch in dem missionarischen Streben, «die Fotografie als Medium der Kunst anerkannt zu wissen», sagt Westheider, die die Hamburger Schau kuratiert. Für Stieglitz sei diese Aufgabe ein grosses Lebensziel gewesen, das er spätestens in den 1950er Jahren erreicht habe.
So ist Stieglitz der rote Faden der Ausstellung: Seine Ankunft in New York 1890 und die Etablierung der Fotografie als Kunst bis 1950 bilden den zeitlichen Rahmen der Schau. Insbesondere Stieglitz war es, der die Fotoszene Ende des 19. Jahrhunderts aufmischte und nachhaltig prägte. Gemeinsam mit Steichen gründete er 1905 die legendäre «291», eine avantgardistische Kunstgalerie in der Fifth Avenue in New York, mit Hauszeitschriften wie der «Camera Work» – auch zu sehen in Hamburg. Westheider bezeichnet die «291» als «eine Art Nucleus». «Und viele Fotografen, die mit der Zeit dazu kamen, stehen in irgendeiner Verbindung zu Stieglitz», sagt die Kuratorin.
Rasant wachsende Skyline regt Fotografen an
«New York ist damals nicht nur die Hauptstadt der Fotografie, sondern auch die der Moderne und der Urbanität», sagt die Direktorin des Bucerius Kunst Forums. Schon vor 1900 regten die rasant wachsende Skyline und die Dynamik der Metropole die Pioniere des neuen Mediums an. Sie fotografierten Wolkenkratzer, Häfen, Bahnhöfe. Die Herausforderung der Fotografen damals war es, «bildnerische Mittel in der Fotografie für dieses Lebensgefühl, für diesen Fortschritt, auch für die enorme wirtschaftliche Entwicklung zu finden».
Gleichwohl gab es einen engen Austausch mit der Malerei. So förderte Stieglitz die abstrakten amerikanischen Maler, holte als Erster die junge europäische Avantgarde nach Amerika. In seinem Umfeld entwickelte sich die Stilrichtung des Piktorialismus von einer impressionistischen Bildauffassung in die beiden Richtungen der amerikanischen Fotografie bis 1950: die street photography und die fotografische Abstraktion – eine dem Menschen sehr zugewandte Form der Fotografie.
«Und diese Geschichte wollen wir mit der Ausstellung erzählen», sagt Westheider. Die 170 Exponate von 42 Fotografen hat das Haus in zehn Kapitel gegliedert – verteilt auf zwei Etagen. Unterstützt werden die überwiegend in schwarz-weiss gehaltenen Fotografien von einer raffinierten Architektur. Angelehnt an das Strassensystem von New York findet sich der Besucher in einer Art Raster aus Streets und Avenues wider. «Wir haben nicht diese langen Fluchten von Fotos, sondern einen sehr lebendigen Wechsel», erklärt die Kuratorin. Der Aufbau und die Hängung in zwei verschiedenen Grautönen sollten das Gefühl vermitteln, dass man durch die Häuserschluchten New Yorks laufe.
Fotografie als bevorzugtes Medium für dadaistische Bildwelt
Die Ausstellung zeigt bis 2. September Werke der Piktorialisten wie Stieglitz und Steichen, deren Fotografien laut Westheider unser Bild von New York prägen. Zu sehen sind ferner Arbeiten von Lewis Hine, der nach 1900 Einwandererschicksale und Kindernot mit soziologisch-dokumentarischem Blick ebenso festhielt wie den Bau des Empire State Buildings in 14 Monaten. Für Man Ray wiederum, der als Maler begann, wurde Fotografie zum bevorzugten Medium für seine dadaistische Bildwelt. Das Leben der Menschen in New York fing auch Berenice Abbott ein – ihr «Exchange Place, New York» (1929-1939) steht exemplarisch für die Momentaufnahmen der pulsierenden Grossstadt.
«New York Photography. Von Stieglitz bis Man Ray» knüpft an die Ausstellungstrilogie zur amerikanischen Malerei an, die das Bucerius Kunst Forum von 2007 bis 2009 gezeigt hat. Die Leihgaben kommen aus bedeutenden amerikanischen und deutschen Sammlungen. Es ist zudem die erste Schau des Hauses, die sich ausschliesslich der Fotografie widmet. Lockte das Haus in seiner zehnjährigen Geschichte doch bisher Kunstinteressierte mit Malerei von Frida Kahlo, William Turner, Marc Chagall oder Gerhard Richter an.
Ausstellung
Die Ausstellung läuft vom 17. Mai bis 2. September 2012, täglich von 11.00 bis 19.00 Uhr, donnerstags bis 21.00 Uhr im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, 20095 Hamburg. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermässigt 5 Euro; montags gilt ein Einheitspreis von 5 Euro. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist der Eintritt frei.