Der Suchmaschinenbetreiber Google hat wie angekündigt gestern Abend seinen eigenen Browser «Chrome» in einer Betaversion veröffentlicht. Das Unternehmen wirbt mit verbessertem Surferlebnis für den Nutzer sowie einem stabileren und sicheren Browser. Um den Bedienkomfort zu steigern, greift Google einmal mehr auf seine umfangreichen Datenbanken zurück, wo Informationen über Surf- und Suchverhalten der Anwender gespeichert sind. Allerdings gibt sich das Online-Unternehmen damit nicht zufrieden, sondern sammelt weiter fleissig sensible Information – diesmal nicht über die Google-Homepage, sondern direkt über die Adresszeile des Browsers.
Alle Adressen zu Google
Welche Daten dabei an die Server gesendet werden, verraten die Datenschutzbestimmungen – für an Chrome interessierte Nutzer lohnt sich ein Blick darauf in jedem Fall. Der erste Punkt erläutert sogleich, dass Google über alle aufgerufenen URLs in Kenntnis gesetzt wird. Dies sei notwendig, um Adressvorschläge zu machen und das Surfen zu verbessern. Ebenso werden aufgerufene, aber nicht vorhandene URLs an den Google-Server gesendet. Der Browserverlauf bleibt also nicht auf dem Benutzerrechner gespeichert, sondern wird direkt auch an das Online-Unternehmen gesendet. Das Surfprogramm selbst enthält darüber hinaus «zumindest eine eindeutige Anwendernummer», die bei der Installation sowie bei der automatischen Update-Prüfung an Google übertragen wird. Cookies tragen zur kontinuierlichen Beobachtung ihren Teil bei.
Gratwanderung
«Google befindet sich auf einer Gratwanderung. Das Unternehmen sammelt sensitive Daten, die vorsichtig zu verwalten sind», meint Andreas Zeller, Professor am Lehrstuhl für Softwaretechnik an der Universität des Saarlandes, gegenüber der Agentur pressetext. Immerhin dürfe das Vertrauen der User nicht enttäuscht werden, so der Experte. «Google muss sich darüber im Klaren sein, dass es vom Vertrauen seiner Nutzer lebt und man damit vorsichtig umgehen muss.»
Andere Browser speichern ebenfalls die aufgerufenen Seiten ab, um dem Anwender bei zukünftigen Webbesuchen die Navigation zu erleichtern – allerdings nur lokal auf dem Rechner. Der Ansatz Googles hierbei scheint verständlich, denn Chrome versucht das Nutzererlebnis bei zukünftigen Webbesuchen automatisch dadurch zu verbessern, indem der Verlauf als Referenz herangezogen wird. Denn Seiten, auf denen der Anwender bei der Suche nach Informationen bereits fündig geworden ist, sind eine guter Anhaltspunkt, um auch künftig verlässlich die gewünschten Auskünfte auf den richtigen Seiten zu liefern. Allerdings geht der verbesserte Komfort zu einem gewissen Teil auch zu Lasten der Privatsphäre.
Der IT-Experte und Autor des US-Bestseller «The Big Switch» Nicholas Carr begründet Googles Entscheidung zu einem eigenen Browser damit, dass das Surfprogramm mittlerweile zu einer Schwachstelle in Googles Geschäftsmodell geworden ist. «Es ist das Nadelöhr, durch das der Output von Googles Datencentern – die Werbung – gehen muss, um den User zu erreichen», so Carr. Als logische Konsequenz dieses Mankos müsse der Browser neu erfunden, adaptiert, angepasst und modernisiert werden. «Google wollte nicht mehr abwarten, bis Microsoft, Mozilla oder Apple die Browser ihren Vorstellungen entsprechend verändern», schreibt Carr in seinem Blog.
Kontrolle gewinnen
«Konkurrenz belebt das Geschäft», sagt Zeller. «Mit dem eigenen Browser trägt Google ausserdem dazu bei, dass die Grenzen zwischen Internet und Desktop zunehmend verschwimmen. Hier geht es auch darum, Kontrolle darüber zu gewinnen, wie User das Internet künftig nutzen», so der Experte. Offensichtlich sei Google mit Mozillas Engagement in diese Richtung nicht zufrieden genug gewesen. Daher habe man sich entschieden, ein eigenes Programm auf den Markt zu bringen.
Medium Browser
Das wirkliche Ziel von Google ortet Carr jedoch nicht darin, mit Chrome einen grossen Marktanteil im Browsersegment zu gewinnen und Microsoft oder Firefox den Rang abzulaufen. «Den Browser-Krieg zu gewinnen, ist nicht Googles Absicht. Die wahre Intention ist – versteckt im Open-Source-Code des Browsers – eine Verbesserung der Fähigkeiten aller Browserprogramme, damit Google die Applikationen besser bedienen und eventuell sogar dahinter verschinden kann», schreibt Carr. «Der Browser ist das Medium, die Programme dahinter sind die Nachricht.»